KI elektrisiert Chemie- und Batterieforscher
28.03.2024 Energie- und Rohstoffbasis im Wandel Artikel

KI elektrisiert Chemie- und Batterieforscher

Neue Batteriematerialien zu finden, ist ein zeitaufwändiges Unterfangen: Oft vergehen Jahre, bis vielversprechende Kandidaten gefunden werden. Durch eine Kombination aus Künstlicher Intelligenz und Hochleistungscomputern ist es nun gelungen, den Prozess massiv zu beschleunigen – und könnte auch die Chemie- und Pharmaforschung revolutionieren.

Batterie für Elektroautos digitaler Hintergrund 3D-Rendering Durch den Einsatz von KI und Hochleistungscomputing kann die Entwicklung von Batteriematerialien radikal beschleunigt werden.

Vier Jahre und 20.000 Experimente – so lange benötigte Alwin Mittasch, um einen geeigneten Katalysator für die Synthese von Ammoniak zu finden. Computer standen dem BASF Forscher, der sein Projekt bereits im Jahr 1909 startete, nicht zur Verfügung – dennoch war Mittaschs Systematik für seine Zeit enorm effektiv – und das Ergebnis prägt die Welt bis heute: Die Ammoniak-Synthese nach dem Haber-Bosch-Verfahren ist bis heute die Grundlage für die Welternährung.

Ähnlich wie die Suche nach einem geeigneten Katalysator ist auch die Entwicklung neuer Batteriematerialien ein komplexer und zeitaufwändiger Prozess. Traditionelle Ansätze erfordern Jahre an Forschung und Experimenten, um vielversprechende Material-Kandidaten zu finden. Doch obwohl Experimente wahrscheinlich auch in Zunft unverzichtbar bleiben – dass die Suche nach geeigneten Materialien durch eine Kombination aus künstlicher Intelligenz (KI) und Hochleistungscomputern (HPC) radikal beschleunigt werden kann, haben zuletzt amerikanische Forscher gezeigt – und dafür den Schulterschluss mit dem Tech-Giganten Microsoft geübt.

Millionen Materialkombinationen in wenigen Stunden getestet

KI und HPC ermöglichen es Wissenschaftlern, neue Materialien schneller und effizienter zu finden. Durch die Analyse von Millionen von Materialkombinationen und die Simulation ihrer Eigenschaften können KI-Modelle vielversprechende Kandidaten identifizieren, die dann experimentell getestet werden können.

Microsoft und das Pacific Northwest National Laboratory (PNNL) haben erfolgreich KI und HPC eingesetzt, um ein neues Batteriematerial aus 32 möglichen Kandidaten in nur 80 Stunden zu finden. Das Material, das sowohl Lithium als auch Natrium verwendet, hat das Potenzial, die Leistung und Lebensdauer von Batterien zu verbessern.

Microsoft hatte dafür zunächst verschiedene KI-Systeme trainiert, um brauchbare Elemente zu bewerten und Kombinationen vorzuschlagen. Der Algorithmus identifizierte 32 Millionen Kandidaten. Anschließend suchte das KI-System alle Materialien heraus, die stabil waren. Ein anderes KI-Tool filterte die in Frage kommenden Moleküle auf der Grundlage ihrer Reaktivität heraus und ein weiteres nach ihrem Potenzial, Energie zu leiten. Die Anzahl der möglichen Stoffkombinationen wurden so nach und nach auf 800 Materialien eingegrenzt. Erst auf diese wurde schließlich das rechenintensive High-Performance-Computing (HPC) angesetzt.

Bei der ersten HPC-Verifizierung wurde die Dichtefunktionaltheorie verwendet, um die Energie jedes Materials im Verhältnis zu allen anderen Zuständen zu berechnen, die es einnehmen könnte. Dann kamen Molekulardynamik-Simulationen zum Einsatz, die KI und HPC kombinierten, um die Bewegungen der Atome und Moleküle in jedem Material zu analysieren. So konnte die Liste auf zunächst 150 und – nach einer weiteren HPC-Berechnung der Praxistauglichkeit der Materialien – auf 23 eingegrenzt werden. Fünf davon waren bereits bekannt. Erst mit diesen aussichtsreichen Kandidaten beginnt schließlich die Kärrner-Arbeit im Labor: Die Herstellung der Materialien, die Fertigung von Batterien und deren langwieriger Test. Doch am Ende könnten sehr viel leistungsfähigere Batterien stehen.

Enormes Potenzial für die Chemie

Das Potenzial der Kombination aus KI und HPC ist enorm: Denn nicht nur Batteriematerialien lassen sich mit dem Verfahren errechnen, denn die Computertechnik wurde generell für Chemie und die Materialforschung entwickelt und trainiert. Auch die langwierige Katalysatorforschung – wie sie von Alwin Mittasch und vielen anderen Chemikern seit über 100 Jahren betrieben wird, könnte so revolutioniert werden. Und viel Potenzial steckt dabei auch in den Erkenntnissen von früher: Denn auch Lithium war bereits Ende des 19 Jahrhunderts als Batteriekomponente entdeckt worden – und es dauerte fast 100 Jahre, bis daraus der heute bekannte Li-Ion-Akku wurde.

Diese Vorteile hat die KI-gestützte Materialforschung

  • Geschwindigkeit: KI kann die Suche nach neuen Materialien um Jahre verkürzen.
  • Effizienz: KI kann Millionen von Materialkombinationen gleichzeitig analysieren und so die Anzahl der experimentellen Tests reduzieren.
  • Geringere Kosten: Die KI-gestützte Materialforschung kann die Kosten für die Entwicklung neuer Materialien senken.
  • Neue Möglichkeiten: KI kann neue Materialeigenschaften und -kombinationen entdecken, die mit traditionellen Ansätzen nicht möglich wären.

Doch die KI-gestützte Materialforschung befindet sich noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Zu den größten Herausforderungen zählen aktuell noch die Genauigkeit der KI-Modelle und die Verfügbarkeit von HPC-Ressourcen.

Mit Azure Quantum Elements bietet Microsoft ein Cloud-Computing-System an, das für die Chemie und die materialwissenschaftliche Forschung im Hinblick auf das spätere Quantencomputing entwickelt wurde. Das Unternehmen arbeitet bereits an solchen Modellen, Werkzeugen und Arbeitsabläufen. Diese Modelle werden für künftige Quantencomputer verbessert werden, aber sie erweisen sich jetzt schon als nützlich, um wissenschaftliche Entdeckungen mit herkömmlichen Computern voranzutreiben.


Autor

Armin Scheuermann

Armin Scheuermann

Chemieingenieur und freier Fachjournalist