Modulautomation: Wie Hersteller von Maschinen und Package Units durch MTP profitieren können
01.03.2024 Analysieren & Automatisieren Artikel

Modulautomation: Wie Hersteller von Maschinen und Package Units durch MTP profitieren können

In der Automatisierung verfahrenstechnischer Anlagen zeichnet sich eine Revolution ab: Die Modulautomation schickt sich an, den Aufwand für den Auf- und Umbau von Anlagen in der Prozessindustrie massiv zu reduzieren. Vor allem Hersteller von Maschinen und Package Units, die zur Herstellung von Pulvern und Schüttgütern notwendig sind, könnten von dieser Technologie profitieren.

Aufgezeichnetes Flussdiagramm mit Holzwürfeln als Elemente. Eine Hand hält einen Holzwürfelblock, der in den Workflow eingefügt werden soll Die Modulautomation erlaubt es, die Steuerungslogik einzelner Maschinen einfach in übergeordnete Prozessleitsysteme zu integrieren.

Bis heute werden Produktionsanlagen in der Chemie und Prozessindustrie in der Regel zentral automatisiert. Dies bedeutet, dass jede Anlage individuell für ihre spezifischen Anforderungen konfiguriert und angepasst werden müssen: Denn obwohl Maschinen und verfahrenstechnische Einheiten – sogenannte Package Units – in der Regel bereits mit einer eigenen Steuerung geliefert werden, wird die Steuerung in der Regel zusätzlich im zentralen Leitsystem implementiert. Das kostet nicht nur Zeit und verursacht einen großen Aufwand im Engineering, sondern ist auch wenig flexibel. Jede Änderung oder Erweiterung der Anlage muss im Prozessleitsystem erneut programmiert werden.

Der Leidensdruck der Anwender steigt deshalb seit vielen Jahren: Bereits 2009 skizzierten Chemiker und Verfahrenstechniker auf dem Tutzing-Symposium die Vision von Chemieanlagen, die aus einzelnen, standardisierten Modulen bestehen, die für spezifische Aufgaben wie Mischen, Aufheizen, Dosieren oder Trennen von Stoffen entwickelt wurden. Doch es dauerte bis 2012, bis die Namur, die Interessengemeinschaft der Prozessautomatisierung, das Konzept aufgriff. Im November 2014 stellte schließlich der Automatisierungsanbieter Wago den Ansatz des Module Type Package (MTP) vor, bei dem die Steuerungsintelligenz in die Module verlagert wird. Dies ermöglichte die Nutzung der Modulfunktionen als Dienst über eine einheitliche Schnittstelle. Das Module Type Package (MTP) ermöglicht es, speicherprogrammierbare Steuerungen (SPS) verschiedener Hersteller mühelos in ein Leitsystem zu integrieren, einschließlich Bedienbild (HMI, Human Machine Interface), Kommunikation und weiterer Automatisierungsaspekte. Als Kommunikationsprotokoll zwischen SPSen und Leitsystem wird OPC UA verwendet, das sich bereits seit vielen Jahren in der Industrie etabliert hat.

Hersteller von Maschinen und Package Units profitieren mehrfach

Der Einsatz von MTP bringt nicht nur für Anlagenbetreiber, sondern auch für Hersteller von Maschinen und Package Units (Process Equipment Assemblies, PEA) erhebliche Vorteile mit sich. In der Vergangenheit mussten PEA-Hersteller spezifische Automatisierungsschnittstellen für jede Anlage entwickeln, was mit einem erheblichen Aufwand verbunden war. Mit MTP ändert sich das Spiel grundlegend. Die herstellerunabhängige Automatisierungsschnittstelle ermöglicht es Maschinenanbietern, die Schnittstelle nur einmal zu entwickeln und ihre etablierte Steuerungstechnik zu nutzen. Die Integration in das Leitsystem des Betreibers erfolgt dann ohne weitere Modifikationen an der Schnittstelle. So bleibt das Know-how der PEA-Hersteller geschützt und diese können standardisierte Package Units anbieten, die leicht in modularen Anlagen integriert werden können. MTP revolutioniert somit nicht nur die Art und Weise, wie Anlagenbetreiber ihre Anlagen konstruieren, sondern auch die Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Maschinenhersteller. Als einer der.ersten nutzt der Technologiekonzern GEA das Informationsprotokoll MTP inzwischen in seinen „Plug & Win“ genannten Separatoren.

Auch in der Chemie hat sich MTP bereits in einigen Pilotprojekten bewährt. Neben Piloten bei Merck und Bayer setzt der Spezialchemiekonzern Evonik auf die Technologie: Gemeinsam mit Engie, Siemens und Yokogawa hat dieser den Module-Type-Package-Standard erstmals bereits 2018 in Singapur in einer World-Scale-Anlage zur Herstellung einer synthetischen Aminosäure implementiert und 2019 in Betrieb genommen. Die Projektbeteiligten waren beeindruckt: Die Modulautomation mit MTP ermöglichte es, die Prozessanlagen schnell zu erstellen und zu erweitern. Gleichzeitig konnte der Engineering-Aufwand erheblich reduziert werden. Vor allem Unternehmen der Spezialchemie erhoffen sich durch den Einsatz von MTP nicht nur signifikant schnellere Markteinführungszeiten. Die Protagonisten der Technologie rechnen damit, dass der Engineering-Aufwand durch Modulautomation um 70 Prozent sinkt und die Flexibilität um 80 Prozent steigt.

Lebensmittel- und Pharmaproduzenten stark interessiert

In noch größerem Maße als die Chemie könnten die sehr viel stärker auf Skids basierenden Produktionsanlagen der Lebensmittel-, Getränke- und Pharmaindustrie von der Modulautomation profitieren. Dort kommen oft Skids unterschiedlicher Hersteller zum Einsatz, die mit jeweils eigener Logik, Programmierung und Bedienphilosophie realisiert werden. Eine Standardisierung nach dem MTP-Konzept bietet hier großes Potenzial, um Engineeringkosten zu reduzieren. Dies haben auch die in der ISPE organisierten Ingenieure der pharmazeutischen Industrie erkannt: MTP soll die Basis der ISPE Pharma 4.0 Plug&Produce-Initiative werden. Das zuständige Architecture Team des Verbands schlägt vor, das MTP-Konzept um zusätzliche Informationen wie den im Pharma-Umfeld wichtigen Audit-Trail sowie Metadaten der implementierten Ausrüstung (z.B. Versionsinformationen) und Sicherheitsmechanismen zu ergänzen. Der daraus resultierende „MTP+“ würde so weitere Einsparungen bei der Integration von Anlagenkomponenten ermöglichen.

Doch auch jenseits der Prozessindustrie hat MTP Potenzial: Im Schiffsbau wird längst modular gefertigt – Modulautomation ist hier eine logische Ergänzung. Zudem lohnt sich der Einsatz in der produktionsnahen Logistik, der Prozessanalytik und der Wasserstoffproduktion. MTP ermöglicht eine einfache Integration der Elektrolyseure in die vor- und nachgelagerten Prozesse, was insbesondere für den schnellen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft bedeutend ist.

Seit November 2021 wird die MTP-Technologie unter dem Dach der Profibus Nutzerorganisation weiterentwickelt und promotet. Die MTP-Schnittstelle wird nun unter VDI-VDE-Namur 2658 standardisiert. Zudem wurden Aktivitäten zur internationalen Standardisierung von MTP als IEC 63280-Norm begonnen.

Fazit

Die Modulautomation mit dem Module Type Package (MTP) könnte die Art und Weise, wie Produktionsanlagen in der Prozessindustrie automatisiert werden, revolutionieren. Durch die Trennung von Modul- und Leitebene werden Flexibilität, Effizienz und Geschwindigkeit bei der Anlagenkonfiguration erheblich gesteigert. MTP ermöglicht es Unternehmen, sich den Herausforderungen der Industrie 4.0 zu stellen und die Produktion flexibler und effizienter zu gestalten.

Autor

Armin Scheuermann

Armin Scheuermann

Chemieingenieur und freier Fachjournalist